Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Hubert Grimming, Oberkirch

Bericht: Gruppenleitungs-Arbeitstagung I 2023

Zeit28.–30.4.2023
OrtSchön­statt­zentrum Marienfried
ThemaACT Matrix
ReferentDr. Klaus Ackermann, MEDIAN Klinik Wilhelmsheim
BerichtFriedrich Mey

Der Akzeptanz- und Commitment-Ansatz [1] ist eine moderne Richtung der kognitiven Verhaltenstherapie.

In ACT geht es darum, wie man vom Leiden zum Leben kommt, zu einem reichen, selbstbestimmten, sinnerfüllten Leben - und das mit (nicht trotz) der eigenen Geschichte, mit all den Erinnerungen, mit all der Angst und mit der Traurigkeit, die man manchmal in sich trägt.

Steven C. Hayes, Mitbegründer der ACT

Ausgehend von den richtungsweisenden Wertvorstellungen einer Person will ACT psychische Flexibilität und Gesundheit – mithin das Gute Leben – entlang der Dimensionen Achtsamkeit, Bereitschaft und Commitment fördern. Insbesondere geht es darum, zu klären, welche Themen, Beziehungen und Aktivitäten für die persönliche Lebensführung handlungsleitend sein sollen, und diese engagiert verfolgen zu können, auch wenn belastende Gedanken und Gefühle auftauchen und zunächst als Hürden erlebt werden.

ACT-basierte Konzepte sind nicht allein auf herkömmliche Behandlungssettings beschränkt geblieben. Als ACT Peer Recovery wurde in Teilen Englands ein Programm etabliert, in dem Genesende in regelmäßigen Gruppentreffen – ähnlich wie bei Selbst­hilfe­gruppen – ein auf ACT-Inhalten basierendes Schulungsprogramm durchlaufen, um ihr Wissen anschließend als Coaches in regelmäßigen Gruppentreffen an andere Betroffene weiterzugeben [4].

  • A = Akzeptanz
    Schmerzhafte Gedanken und Gefühle annehmen, anstatt Energie nutzlos im Kampf gegen eigene Gedanken und Gefühle zu verlieren.
  • C = Commitment
    Bereitschaft, gemäß den eigenen Werten engagiert zu handeln, auch wenn unangenehme Gedanken und Gefühle entgegenstehen.
  • T = Tun
    Nur im Tun werden Werte und Commitment lebendig. Handelnd schaffen wir neue Erlebnisse und Erfahrungen.

Die ACT-Matrix [2,3] kann als „ACT für die Westentasche“ oder als „ACT – kompakt“ bezeichnet werden. Sie dient sozusagen als visuelles Navigationssystem für persönliches Erleben und Verhalten, das eingeübt und automatisiert werden kann, um dem eigenen Leben eine bessere Richtung zu geben.

Im Seminar wurde vornehmlich eine von Mark Webster entwickelte Variante der Matrix dargestellt, wie sie auch von Selbst­hilfe­gruppen genutzt werden kann. In der Demonstration mit einer Kleingruppe sowie interaktiv im Plenum und in weiteren Kleingruppenübungen machte der Referent wesentliche Grundlagen der Matrix-Arbeit anhand von Inhalten aus seiner eigenen Arbeit erlebensnah und anschaulich nachvollziehbar.

HIN und WEG:
Drei Gründe, Verhalten achtsam in den Blick zu nehmen und auszurichten

Unser Verhalten lenkt unser Leben in eine Richtung, doch nehmen wir unser Verhalten und dessen Konsequenzen für gewöhnlich kaum bewusst wahr. Vielmehr verhalten wir uns – ausgelöst durch innere oder äußere Umstände – weitgehend automatisch. Diese Fähigkeit (Autopilot) ist ausgesprochen nützlich und effizient, solange unser Verhalten damit übereinstimmt, wer wir sein wollen, und solange es zu unseren wichtigen Themen und Beziehungen in hilfreicher und sinnstiftender Weise beiträgt (HIN). Beispiele für sinngebende Richtungen und Lebensbereiche aus Sicht der Matrix sind Familie, Freunde, Arbeit, soziale Beziehungen, Gesundheit und so weiter. Diesen richtungsweisenden Lebensthemen zu folgen trägt – unter sonst gleichen Umständen und jenseits der im Leben stets unvermeidlichen schmerzhaften Lebensereignisse – wesentlich zu Lebenssinn und Lebensqualität bei. Das eigene Verhalten nicht oder nur unzureichend wahrzunehmen und auszurichten, wird hingegen besonders problematisch, wenn wir in abträglicher Richtung unterwegs sind und dabei persönlich bedeutsame Lebensbereiche aus dem Blick verlieren und vernachlässigen (WEG).

Das Grunddiagramm der Matrix veranschaulicht diesen Zusammenhang:

Typische Beispiele für WEG-Verhaltens­weisen können sein: (zu viel) Suchtmittel konsumieren, stets Recht behalten wollen, im Bett liegen bleiben, schimpfen, vermeiden, grübeln, sich äußerlich vernachlässigen, Vorwürfe machen, sich isolieren, Dinge übertreiben oder aufschieben, zu viel/zu wenig essen, zu viel/ zu wenig arbeiten, Ja-Sagen, Nein-Sagen … usw.

Wenn wir lernen, Verhalten bewusst wahrzunehmen, ist dies die Pausentaste, die uns erlaubt, unter sonst gleichen äußeren Bedingungen mehr von dem zu verfolgen, was uns aus vollem Herzen wichtig ist. Auf Autopilot richtet sich unser Bemühen hingegen oftmals darauf, unangenehmes Erleben zu vermeiden. Wie beispielsweise der Teufelskreis der Sucht deutlich macht, führen solche Bemühungen jedoch oftmals noch weiter in den Schlamassel. Selbst wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Ein Leben ohne unangenehme Gedanken und Gefühle ist schlicht unmöglich, Schmerz gehört zum Menschsein dazu. Versuche, unerwünschtes Erleben zu kontrollieren, führt meist zu paradoxen Effekten und liegt letztlich vielen psychischen Beeinträchtigungen zugrunde!

Ergänzend verwies der Referent noch auf neuere Aspekte der Evolutionsforschung. Demnach entwickelte sich das Fühlen und Denken entlang seiner Nützlichkeit für das evolutionäre Überleben. Wenn wir lernen, Denken und Fühlen als mentales Erleben unter funktionaler Perspektive zu betrachten, können wir uns nötigenfalls leichter aus dessen Unmittelbarkeit lösen und besonnener handeln (wo führt es mich hin, wenn ich dem Gedanken glaube?).

Zusammenfassend geht es in der Matrix darum, eigenes Verhalten achtsam wahrzunehmen und entsprechend auszurichten. Es ist leichter, das eigenen Verhalten zu beeinflussen als unerwünschtes Erleben oder Gedanken und Gefühle kontrollieren zu wollen. Tatsächlich führt solch ein Bestreben oftmals zu paradoxen Effekten. Je mehr wir gegen unangenehmes Erleben ankämpfen, desto schlimmer wird es!

Einführende Übungen und Abschluss

In zwei einfachen und gleichermaßen anwendungsrelevanten Einführungsübungen hatten die Teil­nehmenden schließlich Gelegenheit, in Kleingruppen Matrix-Kompetenzen für ihre eigene Tätigkeit einzuüben.

Als Moderierende forderten sie ihre Mitübenden in einer jeweils eigenen Schnellen Runde dazu auf, reihum im Stuhlkreis eigene automatisierte Verhaltens­weisen oder auch bedeutungsvolle HIN-Bewegungen aus den letzten Tagen zu nennen.

In einer weiteren Kleingruppenübung wurde die Einladung formuliert, einzelne bedeutsame Lebensbereiche entlang der Frage wer oder was ist Dir von Herzen wichtig? kurz und prägnant zu benennen.

Im anschließenden Plenum wurde insbesondere diese Übung von vielen Teil­nehmenden als bereichernde Anregung für die eigene Gruppen­arbeit gelobt. Der Referent verwies auf vertiefende Übungen, die dazu anregen sollen, eigene Werte und Richtungen zu klären und sich mit belastenden Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen. Darüber hinaus kann von der Website auch ein Manual für Gruppenleiter heruntergeladen werden, in dem das Vorgehen noch weiter erläutert wird.

In ihren abschließenden Bewertungen äußerten sich die Teil­nehmenden vielfach zufrieden über einen kurzweiligen, lebendigen und gehaltvollen Seminartag und regten eine inhaltliche Fortführung der Veran­staltung an.

Weblinks

www.actmatrix.de

Literatur

[1] Hayes, S.C. (2020). Kurswechsel im Kopf. Von der Kunst anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden. Weinheim: Beltz.

[2] Polk, K.L., Schoendorff, B., Webster, M., & Olaz, F. (2019). Praxishandbuch ACT-Matrix. Schritt für Schritt zur Anwendung in der klinischen Praxis. Berlin: Springer-Verlag.

[3] Webster, M. (2015). Die Matrix. Einführung und Übungsheft. Download unter www.actmatrix.de.

[4] Webster M (2014) Rolling out the Matrix. Rolling Back Addiction. In Polk K, Schoendorff B (eds.) The ACT matrix: A new approach to building psychological flexibility across settings and populations. Oakland, CA, USA: New Harbinger. S. 77–91.